Macht uns die Digitalisierung krank?

Macht uns die Digitalisierung krank?

Quelle / Autor

Severin Renold

Bundesamt für Statistik

Studien Universität St.Gallen

Thema

Digitalisierung und Arbeitswelt

Welche Auswirkungen haben die Digitalisierung und der technologische Fortschritt auf unsere Arbeitswelt

 

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) führt die Online-Spielsucht seit Juni 2018 offiziell als Krankheit. Schätzungen gehen von 70’000 Internetsüchtigen in der Schweiz aus, in Deutschland sollen es rund eine halbe Million sein. Dies Krankheit, «Internetsucht», ist vergleichbar mit Spielsucht. Betroffene verlieren die Selbstkontrolle, darunter leiden ihr Sozialleben und der Geisteszustand. Die Folge sind Vereinsamung, Konzentrationsschwäche und eine verzerrte Wahrnehmung der Realität. Körperliche Folgen können Übergewicht, Sehstörungen und andauernde Kopfschmerzen sein.

 

Im Schnitt sind Menschen unter 30 Jahren pro Tag vier Stunden am Handy. Viele können sich ein Leben ohne nicht mehr vorstellen und zeigen Entzugserscheinungen, wenn sie es verlieren. Erste Massnahmen zeigen sich diesbezüglich durch den von Apple zur Verfügung gestellten Wochenrapport, über die tägliche Bildschirmzeit während den letzten sieben Tagen. Dieser soll verdeutlichen und aufzeigen, wie lange ein Nutzer effektiv aktiv am Smartphone war, was allenfalls zur Erkenntnis von Sucht- Anzeichen führen könnte. Machen uns die Firmen im Silicon Valley gezielt abhängig? «Brainhacking» heisst der Ausdruck, der unter Kritikern der Digitalisierung kursiert. Es sei der Versuch, durch psychologische oder auch direkte technische Eingriffe das menschliche Gehirn zu beeinflussen.

Doch sind es wirklich die Entwickler der spezifischen Software bzw. App, welche für solcherlei Ausmasse in die Verantwortung gezogen werden können? Noch immer werden der Digitalisierung enorme Chancen attestiert. Nicht zu Letzt spricht man etwa von Arbeitserleichterung, Effizienzsteigerung oder Prozessautomatisierung, die zu positiven Betriebsumstrukturierungen führen hinsichtlich der langfristigen Betriebswirtschaftlichkeit. Es wird sogar möglich ausländische Produktionsstätten wieder zurück in die Schweiz zu holen, dank der Kombination von Robotik und Machine Learning – man siehe Firma Wander (Ovomaltine, ehemalig in Belgien hergestellt). Die Konsequenz daraus ist aber offensichtlich die Verdrängung regulärer Arbeitsplätze, hin zum Ausbau von Freiberuflern oder der Schaffung neuer Jobs und Umfelder, wie wir es zuvor teilweise im Blog Co-Working Spaces, behandelt hatten. Kurze Anekdote am Rande: Rund 65% aller Erstklässler heutzutage werden einen Beruf ausüben, den es momentan noch nicht gibt, ein generelles Umdenken lässt sich also nur schwer verhindern.

 

Die Auswirkungen auf die Arbeitnehmer sind dabei signifikant, es resultiert eine massiv erhöhte Arbeitsverdichtung und eine immer schnellere Taktung und Verteilung komplexer Arbeiten auf immer weniger Schultern. Die ständige Erreichbarkeit führt zu weniger Privatsphäre und zu einer enormen Stressbelastung. Überall und immer einsatzfähig zu sein, der Drang nach Informationen, die Flut an Nachrichten, all dies sind Faktoren aus dem rasanten Wandel der Arbeitswelt, welche zu psychischen Erkrankungen führen können. Gemäss Umfragen der Universität St.Gallen leiden 23% aller Beschäftigten unter dem sogenannten Burnout Syndrom. Pro Jahr wurden über 87 Mio Arbeitsausfälle gemeldet auf Grund psychischer Erkrankungen, dies sind fast doppelt so viele wir vor 10 Jahren noch. 60 – 80% aller Erkrankten äussern, dass die berufliche Situation massgebend zu diesem Umstand beigetragen haben soll. Ein Zufall im Kausalzusammenhang mit dem seither bekannten Anstieg der digitalen Transformation in der Arbeitswelt, kann praktisch ausgeschlossen werden. Bestätigt wird dies durch eine Studie des DGB, bei welcher nur 9% der Befragten aussagten, dass die Digitalisierung zu einer Erleichterung der Arbeitslast führte, hingegen 46% der Befragten zum Gegenteil neigten, einer Erhöhung der Arbeitslast. Hinzu kommen die Fakten, dass vom Messzeitraum zwischen 1950 bis 2015, die Wochenendarbeit um rund 50% zugenommen hat, Sonn- und Feiertagsarbeit um 71% und die Abendarbeit sogar um 75%. Schlussfolgernd daraus sehen wir immer mehr Personen mit Schlafstörungen und Erschöpfungszuständen. Ein beiläufiger Aspekt ist die abnehmende Konzentrationsfähigkeit, auf Grund der Entlastung durch digitale Abläufe.

 

Sucht in der Digitalisierung

 

Was können wir nun aber dagegen unternehmen und ist dieser Wandel gesund? Ganz klar ist, trotz künstlicher Intelligenz und enormen technologischen Fortschritten, ist nach wie vor der Mensch der Taktgeber hinter dem Computer. In diesem Zuge sind es also auch wir selber, welche verantwortlich sind für unser Konsumverhalten und dessen Auswirkungen auf unsere Gesundheit. Wenn die Freizeit nicht mehr genutzt werden kann zur Erholung und dazu, den Geist herunterzufahren und die innere Batterie aufzuladen, sind chronische Erkrankungen praktisch vorprogrammiert. Auch sportlicher Ausgleich wirkt sich nachweislich positiv zum Arbeitsalltag aus, gerade in Bezug auf Kopfschmerz Problematiken.

 

Was können Arbeitgeber tun um diesen negativen Konsequenzen ihrer Umstrukturierungen vorzubeugen? Ein möglicher Denkanstoss wäre der Folgende: Je besser man sich in der Digitalisierung geschult fühlt, umso besser ist auch der Umgang damit. Gerade bei älteren Generationen ist dies einer der hauptausschlaggebenden Faktoren für negativen Stress. Gedanken wie: «Das ist mir zu komplex», «das verstehe ich sowieso nicht», «da benötige ich extrem viel mehr Zeit als andere, um mich einzuarbeiten und auf dem selben Niveau arbeiten zu können», können relativiert werden. Etwa durch interne Schulungen, oder durch Beizug eines externen Expertenteams, Workshops mit Agenturen und vieles mehr. Der wichtigste Schritt ist der Erste. Andere Firmen, um nochmals auf die Thematik zurück zu kommen, setzen Lösungen um in der Umgestaltung des unmittelbaren Arbeitsumfeldes. Nicht  ohne Grund, gehört Google zu den erfolgreichsten Unternehmen weltweit, bei welchem mit unter anderen nur die besten Entwickler arbeiten. Co-Working Spaces sorgen für eine wohnlichere Atmosphäre und führen zur Förderung von Innovationsgedanken, welche im Gegenzug zu den vorangehenden Beispielen zu positivem Stress führt, nicht zu Negativem.

 

Die Antwort auf die Titelfrage lautet also NEIN! Nicht die Digitalisierung ist es die uns krank macht, sondern vielmehr die Individuen, welche immer wieder eine Ausrede suchen, um sich aus der Verantwortung zu ziehen. Hier gilt der Appell zu mehr Disziplin und Selbstreflektion, fragen Sie sich, wie nachhaltig ihre aktuellen Tätigkeiten wirklich sind, gerade auch in Führungs- und Vorbildfunktionen.