Innovation in der Medizinaltechnik und Robotik

Innovation in der Medizinaltechnik und Robotik

Autor | Quelle

Severin Renold

McKinsey & Roland Berger

Thema

Health 4.0 | Labor 4.0

Disruption

 

Ökonomen diskutieren intensiv, was für Auswirkungen die vierte industrielle Revolution auf das Wirtschaftswachstum diverser Branchen haben wird. «Technologien und Innovationen stehen an einem Wendepunkt und es muss mit massiven Produktivitätsschüben gerechnet werden», so erklingt es aus manch einer Ecke von Wirtschaftsmagazinen und Analysten. Klaus Schwab schreibt in seinem Buch, «Die Vierte Industrielle Revolution», über die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. Möchte ein Unternehmen weiterhin konkurrenzfähig bleiben, muss es für alle möglichen Innovationen als Pionier gelten. Nur noch auf Strategien der Kostensenkung zu setzen wird sich in Zukunft nicht mehr gleichermassen auszahlen. Umso mehr lohnt es sich Strategien zu verfolgen, bei welchen Produkte und Dienstleistungen auf innovative Weise angeboten werden (Schwab, 2016). In dieses Gebiet fällt auch die digitale Disruption. Ein Thema mit welchem sich viele Firmen oder ganze Branchen oftmals erst dann beschäftigen, wenn es bereits zu spät ist. Dabei geht es auf der einen Seite darum, Gefahren für das eigene Geschäftsmodell rechtzeitig zu erkennen. Was geschieht, wenn nicht früh genug auf diese Gefahren reagiert wird, konnte bei Beispielen wie Uber in der Taxiindustrie und bei Airbnb in der Hotellerie mitverfolgt werden. Auf der anderen Seite geht es um die Frage, wie die Digitalisierung genutzt werden kann, um das eigene Geschäftsmodell auszubauen und so selbst zu einem aufstrebenden Disruptor zu werden und andere Unternehmen unter Druck zu setzen.

Bei der Erarbeitung von grundsätzlichen Lösungen werden die vier Haupteffekte, welche die vierte industrielle Revolution mit sich bringt, berücksichtigt. Dazu gehören die folgenden Punkte:

  • Kundenerwartungen ändern sich
  • Daten werten Produkte auf, dadurch wird die Anlagenproduktivität gesteigert.
  • Innovation wird mit Kooperationen gefördert
  • Betriebsmodelle werden in neue digitale Modelle umgewandelt.

(Schwab, 2016)

 

Digital Brain

 

Der Markt der Medizinaltechnik

Die Medizinaltechnik ist seit Jahren einem natürlichen Wachstum ausgesetzt. Die Ansprüche an die Medizin in der Gesellschaft steigen und sind mit ein Grund für das grundlegende Umsatzwachstum. Im Jahr 2017 wurde der Globale Markt auf 405 Milliarden US-Dollar beziffert (Radtke, 2019). Im Marktumfeld des Automated Liquid Handling betrug das Marktvolumen im Jahr 2016 585 Millionen US-Dollar (Sumant & Shaikh, 2017).

 

Laut einer veröffentlichten Studie der Unternehmensberatung Roland Berger (Berger, 2018), wird die Medizintechnikbranche in den kommenden Jahren ein beachtliches Potenzial bei Umsätzen und Arbeitsplätzen entfalten. Die Studie, die auf der MEDICA vorgestellt und vom Industrieverband SPECTARIS und der Messe Düsseldorf in Auftrag gegeben wurde, basiert auf einer Befragung von mehr als 200 Medizintechnikunternehmen, sowie auf zahlreichen weiteren Experteninterviews mit Versorgern, Start-ups, Kassenvertretern und der Politik. Laut dieser Studie werden sich die Umsätze mit digitalen Produkten und Services alleine in Deutschland bis 2028 mehr als vervierfachen, von 3.3 Mrd. EUR auf bis zu 15 Mrd. EUR und im Globalen Markt von 405 Mrd. auf 594.5 Mrd. US-Dollar (Radtke, 2019). Mittels neuer Technologien, welche die Industrie 4.0 charakterisieren – von der Konnektivität bis hin zu fortschrittlicher Analytik, Robotik und Automatisierung – haben diese das Potenzial, jedes Element des Pharmalabors innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre zu revolutionieren. Dem Globalen Markt des Automated Liquid Handling wird ein Wachstum vom 7.8% jährlich bis 2024 vorausgesagt und wird somit ein Volumen von 1 Milliarde US-Dollar im Jahr 2024 erreichen (Automated Liquid Handling Market Size, Analysis, Growth, 2018).

 

Die ersten realen Anwendungsfälle haben zu einer Produktivitätssteigerung von 30 bis 40% in bereits ausgereiften und effizienten Laborumgebungen geführt und eine ganze Reihe von Verbesserungen könnte zu einer Senkung der Gesamtkosten für die Qualitätskontrolle um mehr als 50% führen. Die Digitalisierung und Automatisierung werden, indem manuelle Fehler und Schwankungen reduziert und eine schnellere und effektivere Lösung von Problemen ermöglicht werden, eine bessere Qualität und Einhaltung von Vorschriften sicherstellen. Anwendungsfälle haben eine mehr als 65-prozentige Reduzierung der Abweichungen und eine über 90-prozentige Verkürzung der Abschlusszeiten gezeigt. Die Vermeidung von wichtigen Compliance-Problemen kann allein schon eine Kosteneinsparung in Millionenhöhe bedeuten. Darüber hinaus können eine verbesserte Agilität und kürzere Testzeiten die Vorlaufzeiten im Labor um 60 bis 70% reduzieren und schließlich zu Echtzeit-Freigaben führen (Han, Makarova, Ringel & Telpis, 2019).

 

Im Trendreport 2019 für Analysen-, Bio- und Labortechnik vermerkt Dr. Martin Brudermüller, Vorstandsvorsitzender der BASF SE, dass die Phase der Insellösungen in Laborumgebungen nun definitiv endet (Brudermüller, 2019). Der Fokus in Hinsicht auf das Labor 4.0 liegt auf smarten und vernetzbaren Labor- und Analysegeräten, die zentral und im Verbund gesteuert werden können und entlang der gesamten Wertschöpfungskette flexibel in die IT-Umgebung eingebunden sind. Interoperabilität von Instrumenten über einzelne Anwendungsgebiete hinweg ist heute gefragt. Vereinheitlichte Datenformate und Protokolle, aber auch erstklassiges Training der Geräteanwender, sind hierbei entscheidend und Voraussetzungen für smarte Lösungen.

 

Robotik

 

Disruption und neue Wege

Was ist der Grund für diesen kurzen Ausflug in prognostizierte Wachstumszahlen der Medizinaltechnik? Wie so manch andere Branche zuvor, konnten sich viele Marktteilnehmer aus diesem Segment auf einem gesunden Umsatzwachstum ausruhen, Kundenstämme ausbauen, weitere Arbeitsplätze schaffen und neue Märkte öffnen. Mit Anbetracht dieser Ausgangslage spielt der Fokus für neue Geschäftsmodelle, der Miteinbezug neuer Technologien und der grundsätzliche Ausbau des Digitalisierungsgrads oft nur eine sekundäre Rolle. Und genau hier befindet sich der initiale Punkt für einen zukünftigen Disruptor, sich mit neuen Methoden im Markt zu platzieren und bestehende Unternehmen unter Druck zu setzen. Ob dies über den Einstieg mit günstigeren Produkten funktioniert, kann in Frage gestellt werden. Gerade hier legen viele Direct Sales Kunden wie auch OEM Kunden (Original Equipment Manufacturers), erhöhten Wert auf die Sicherheit und Qualität der gelieferten Gerätschaften. Nicht nur wegen den signifikanten Kostenpunkten, die im Falle eines Qualitätsfehlers ausgelöst werden können (man nehme als Beispiel eine Kreuzkontamination, die in der Lagerung und Bewirtschaftung einer Blutprobe ausgelöst wird, weil die entsprechenden Hygienemassnahmen nicht eingehalten wurden), viel schlimmer wären die entsprechenden Reputationsrisiken, welche allenfalls irreparable Schäden nach sich ziehen könnten. Nein, viel mehr liegt der Kern der Disruption hier im Angebot einer holistischen Lösung die es ermöglicht, repetitive manuelle und fehleranfällige Arbeitsschritte durch Automation und Digitalisierung zu ersetzen. Gut funktionierende Insellösungen müssen sich zu einem Gesamtkonzept in Richtung Labor 4.0 transformieren. Maschinen müssen nicht nur miteinander kommunizieren können, Stichwort IOT (Internet of Things), um deren Wartung und Bewirtschaftung sicherstellen zu können, vielmehr muss der gesamte Laborraum zu einem intelligenten Hub werden, in welchem ein smartes Transportsystem die Konnektivität und Verbindung unter den verschiedenen Maschinen sicherstellt, um wieder auf das Beispiel der Proben zurück zu greifen.

 

Ein System welches autonom von aussen gesteuert werden kann und in Realtime die erforderlichen Controlling-Messgrössen liefert, die Logistik effizienter gestaltet und eine Schnittstelle zum internen ERP System liefert. Wieso? Hier kommt der nächste Punkt der langfristigen Kostenersparnis im Projektmanagement. Eine Vielzahl der befragten Unternehmen arbeiten zur Zeit noch mit einer Auswahl einzelner Tools und bewirtschaften die Kommunikation und Supportanfragen ihrer Kunden manuell. Gerade hier setzt der zukünftige Disruptor wieder an und verbessert die User Experience mit direktem Zugang zu der Softwareschnittstelle. Der Datenaustausch muss in Echtzeit funktionieren und der Kunde sollte zu jeder Zeit in Kenntnis sein, über den aktuellen Stand seiner Produkte, Maschinen, Projekte, Forschungsfortschritte und so weiter.

 

 

Hier kommt nun die erste Herausforderung zu tragen, wer bietet eine solche Softwareapplikation an, welche auf dem geforderten Sicherheitsstandard funktionieren kann und keine erheblichen Umschulungen abverlangt? Wir wissen, Disruption beginnt in der Einfachheit der Innovation, welche das Potenzial birgt auf einen grossen Markt adaptiert zu werden. Als nächstes wäre da die Komplexität zur Umsetzung einer beschriebenen Laborumgebung. Die allgemein gültige Standardlösung wird auf Grund der individuell gestalteten und verschachtelten Laborräumlichkeiten wohl kaum Anwendung finden, es sei denn ein Interessent zieht in Erwägung komplett von 0 zu beginnen. Man muss also Transportsysteme entwickeln, welche nicht von zu hohen logistischen Voraussetzungen geprägt sind. Was könnte dies sein, doch kein Schienensystem, sondern vielleicht eher eine Drohnenlösung oder selbstfahrende Transportfahrzeuge, wie lässt sich dies dann aber skalieren? Das Umfeld scheint definitiv noch Spielraum zu bieten, für geniale Entwickler und Ingenieure, welche sich in smarten Laborlösungen und der Konnektivität, sowohl digitaler als auch physischer Natur, verwirklichen möchten.

 

Ein Ansatz dennoch schon heute weitere Teile dieses Wachstumsmarktes für sich gewinnen zu können, wäre das bestehende Knowhow zu nutzen für die bedingten Voraussetzungen und den Bau eines solchen Systems und dessen vorangehende Planung. Die Auslagerung eines Robotikherstellers für Geräte der Medizinaltechnik, vom reinen Hardwarekatalog neu zum erweiterten Softwareanbieter. Eine Software mit welcher ich schon heute meine Vorstellungen des perfekten Labor 4.0 in 3D visualisieren könnte. Produkte platzieren, Verbindungen nachstellen, Anschlüsse und Reinräume sicherstellen und das ganze Transportsystem implementieren könnte. Diesmal allerdings nicht als proprietäre Lösung für einen bestimmten Hersteller, sondern offen nutzbar als Freemium / Subscription Modell für den gesamten und spezifischen Markt der Medizinaltechnik. Nicht nur wäre dies ein weiterer Schritt in die richtige Richtung zur zuvor geschilderten Gesamtlösung, nein die Anbieter einer solchen Software können zudem in ganz anderen Märkten und Kundensegmenten mitspielen, welche sich bis anhin nicht im Radius dieser Unternehmen befanden. Kunden und Interessenten welche in erster Linie ein reines Planungsinstrument nutzen möchten, später aber vielleicht auch auf die Hardware Produktepalette zurückgreifen auf Grund der bereitgestellten Servicequalität, werden zu ergänzenden Umsatztreibern. Die Abrundung einer optimierten User Journey, als Reaktion auf den Wandel des veränderten Konsumverhaltens.

 

Dies soweit als reiner erster Denkanstoss. In unseren weiteren Blogs zur Digitalisierung im Gesundheitswesen und spezifisch der Medizinaltechnik und Robotik, werden wir diese initialen Gedanken wieder aufgreifen und weiter ausführen.