Die Chip Invasion

Die Chip Invasion

Autor | Quelle

Severin Renold
Swissquote

Thema

Mikrochips und Geopolitik

Mikrochips wohin das Auge reicht

 

Sie sind überall: in unserem Haus, unserem Auto, an unserem Arbeitsplatz und bald sogar unter unserer Haut. Seit sie in den 1950er Jahren erstmals auftauchten, haben Mikrochips weltweit Verbreitung gefunden. Chips sind Teil unserer Alltagsgeräte. Seit 2018 verlassen jedes Jahr mehr als eine Billion Chips die Fertigungsanlagen – riesige Fabriken, die Halbleiter für alle Technologieunternehmen herstellen, von Apple und Nvidia bis zu Qualcomm und Huawei. Und ein Ende ist nicht abzusehen. Die Grundtendenz für die nächsten Jahre deutet auf immer mehr Halbleiter hin, gemäss Hugo Paternoster, Branchenexperte bei AlphaValue. „Je mehr vernetzte Objekte, darunter auch Autos, es geben wird, desto mehr Chips werden auch gebraucht.“ Auch wenn sich am Horizont goldene Zeiten abzeichnen, macht der Halbleitermarkt schwere Zeiten durch. Schon vor der Corona-Krise erlebte der Markt 2019 ein enttäuschendes Jahr, in dem die Umsätze um 12.8% auf 409 Mrd. USD zurückgingen.

 

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So stark wie in zehn Jahren nicht. „Die makroökonomische Situation 2019 war schwierig, durch das langsamere Wachstum in China, den chinesisch-amerikanischen Handelsstreit und den schleppenden Smartphone-Absatz“, fasst es Frédéric Yoboué, Branchenanalyst für die Bank Bryan, Garnier & Co zusammen. „Dass die Priese so brutal eingebrochen sind, lag auch daran, dass die Chiphersteller 2017, als die Halbleiterpreise ganz oben waren stark investiert hatten. Als dann die Nachfrage Ende 2018 zurückging, standen sie mit viel zu hohen Chipbeständen und überschüssigen Produktionskapazitäten da, was zu einem starken Preisverfall geführt hat.“

 

Für alle Beteiligten sollte 2020 der Aufschwung beginnen. Die World Semiconductor Trade Statistics prognostizierte im Dezember 2019 ein Wachstum von 5.9% für 2020 und von 6.3% für 2021. Doch dann kam Covid-19 und machte die guten Aussichten zunichte. In einer im April publizierten Studie geht die Unternehmensberatung McKinsey inzwischen davon aus, dass die Nachfrage nach Halbleitern 2020 im Vorjahresvergleich um 5 – 15% zurückgehen wird. Zu den Unternehmen, die es am härtesten trifft, gehören vor allem solche, die Mikrochips für Smartphones (Qualcomm, MediaTek) oder Autos (Infineon, NXP) herstellen. Sie bekommen den Einbruch von Produktion und Konsum mit voller Wucht zu spüren. Nicht zu letzt, weil Konsumenten in Zeiten der Krise weniger technischen „Schnickschnack“ erwerben.

 

Ganz anders verhält es sich mit Playern aus der Cloud-Industrie oder etwa der aufkommende 5G Standard, welcher nicht nur für Handychips, sonder vielmehr auch für autonome Fahrzeuge von Bedeutung sein wird. Die Elektrifizierung der Fahrzeugflotten udn langfristig ihre Automatisierung sind für die Halbleiterindustrie von enormer Wichtigkeit. Während in einem heutigen Verbrenner Chips im Wert von ca. 370 USD verbaut sind, so sind es im elektronischen Pendant bereits Chips im Wert von 820 USD und können bei autonom fahrenden Vehikeln bis zu geschätzten 2’000 USD reichen. Um die Fahrzeuge autonom zu machen, muss ihre Kapazität mit Hilfe künstlicher Intelligenz gesteigert werden, einem Sektor, der in den Augen der Halbleiterindustrie das wahre Paradies darstellt. Dem Marktforschungsunternehmen IHS Markit zufolge ist zu erwarten, dass sich der Umsatz mit Computerchips für Systeme künstlicher Intelligenz in allen Bereichen (Informatik, Gesundheitswesen, Automobil, Telekommunikation, Industrie) in sechs Jahren verdreifacht, von 42.8 Mrd. USD 2019 auf 128.9 Mrd. USD im Jahre 2025.

 

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Wer macht das Rennen?

Donald Trum ist kein Geek, sondern Immobilienunternehmer. Wie wichtig die Halbleiterindustrie ist, hat der aktuelle Bewohner des Weissen Hauses aber zweifellos verstanden. Demnach ist die Entscheidung klar nachvollziehbar, dass die USA die Kontrolle über Entwicklung und Produktion dieser elektronischen Bauteile behalten wollen. Der Sektor wird von US Firmen beherrscht, und der Handelskrieg, den Präsiden Trump gegen den chinesischen Telekommunikationsausrüster Huawei führt, zielt vor allem darauf ab, Peking daran zu hindern, entsprechende Kompetenzen aufzubauen. China mag zwar die Fabrik der Welt sein, doch Halbleiter sind nach wie vor eine Schwachstelle. Im Februar 2019 berichtete das Center for Strategic and International Studies (CSIS), dass China nur 16% der im Land verbauten Halbleiter produziere. Das reicht nicht, um unabhängig zu sein.

 

Doch der Druck aus Washington wird möglicherweise nicht den gewünschten Effekt haben. Anstatt sich zu fügen, entwickelt China nun seine eigene Industrie im Schnellverfahren und investiert gewaltige Summen. Bis 2020 will die Volksrepublik 40%, bis 2025 sogar 70% aller Halbleiter, die im Land gebraucht werden selbst herstellen. Die Auswirkungen dieser Politik sind bereits sichtbar: HiSilicon, die Halbleitersparte von Huawei, hat im ersten Quartal 2020 den Sprung in die Top Ten der weltweiten Chiphersteller geschafft, wie CSIS berichtet. Bislang entwickelte HiSilicon nur die Chipsätze und elektronischen Bauteile, die Produktion erledigte dann der taiwanische Konzern TSMC. Inzwischen vergibt HiSilicon seine Fertigungsaufträge jedoch zunehmend an SMIC, ein chinesisches Unternehmen.

 

Und welche Rolle spielt Europa? In Grossbritannien sitzt der Chip-Spezialist ARM, in den Niederlanden der Spezialmaschinenbauer ASML und in der Schweiz die Technologiefirma Comet – allesamt hochkarätige europäische Unternehmen, die wichtige Bereiche der Chipherstellung beherrschen. Doch um eine Führungsrolle übernehmen zu können, wie sie die USA heute innehaben und China wahrscheinlich in Zukunft einnehmen wird, dazu braucht es mehr.

 

 

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