Quelle / Autor
Severin Renold
Severin Renold
Innovation und Digitalisierung in der Textilindustrie
Wenn man heutzutage vom Schwund des Einzelhandels in den Altstädten spricht, so wird nicht selten die Bekleidungsbranche als Beispiel herangezogen, die verstärkt unter Druck geraten ist durch Onlineplattformen wie Zalando, Amazon und co. Der Trend ist eindeutig, Kunden schätzen das bequeme Suchen und Vergleichen auf Portalen die es ermöglichen, nach Feierabend noch den ein oder anderen Hingucker zusammenzustellen und gleich nach Hause liefern zu lassen. Eine riesige Auswahl, zu jeder Zeit und überall, mit Preisen die für bekömmliche Ladenmieter nur schwer zu schlagen sind. Nicht nur das, gar die Rücksendung bei falsch bestellter Ware, oder falls diese einfach nicht passen sollte, wird von vielen Anbietern kostentfrei übernommen. Wie rentabel dieses Geschäftsmodell langfristig funktionieren kann steht in den Sternen, ganz klar aber ist, dass das Kundenwachstum mit einer solchen Strategie exponentiell steigt und der Bedarf an gewohnten Shopping Trips durch die Stadt von Tag zu Tag sinkt. Ob genannte Onlinekonzerne bei Erreichen der kritischen Masse oder sonstigen Inidkatoren anfangen ihre Rentabilität anders zu optimieren, sei es durch Anpassen der Preisstrategie oder durch neue Monetarisierungsquellen, ist vorallem eine Frage der Zeit. Die Herausforderung wird sein, Kunden weiterhin binden zu können und mit weiteren Innovationen attraktiv zu bleiben. Letzteres könnte auch eine Chance für den hiesigen Kleidermarkt darstellen, welcher aktuell primär durch den Kundenservice, durch qualitative Aspekte und zwischenmenschliche Interaktionen bestehen kann. Wer es schafft Kunden zu Fans zu machen, eine Community um seinen eigenen Brand zu bilden und mit der Zeit zu gehen, wird auch zukünftig erfolgreich wirtschaften können und reiner Onlinekonkurrenz die Stirn bieten. Nebst der Option sich solchen Plattformen anzuschliessen oder die eigene Onlinedistribution zu stärken, wird in diesem Artikel ein weiterer Fokus aufgegriffen und zwar jener des Customizings.
Was ist gemeint mit Customizing? Bei Customizing handelt es sich um die Individualisierung und Anpassung der Produkte und Dienstleistungen der Unternehmer, an die Bedürfnisse der Konsumenten. Dies geht einher mit einer permanenten Übersättigung und dem Überangebot an standardisierten Angeboten, wobei sich je länger je mehr die Nischenprodukte durchsetzen. So entstanden auch Begriffe wie etwa der Long Tail Ansatz von Chris Anderson 2004, der beschrieb wieso Bestseller Produkte verdrängt werden. Dies passiert auf Grund der hohen Transparenz im Internet Zeitalter und den Vergleichsmöglichkeiten, wobei Kunden je länger je mehr nach spezifischen und speziellen Angeboten Ausschau halten, statt sich von verkaufsförderlichen Massnahmen verleiten zu lassen. Also entgegen dem 80/20 Pareto Prinzip, bei dem ein Kleinteil der Produkte den grossen Absatz bescherte, hin zu Zero Gravity und On-Demand Delivery, bei dem riesige Lagerhallen abgebaut werden und eine Vielzahl an Nischenprodukten das Rennen machen.
Die Superlative solcher Nischenprodukte könnte wie erwähnt, das individualisierte Kleidungsstück sein. Dabei handelt es sich um keine Weltneuheit, sondern vielmehr um den Gedanken diesen Service massentauglich zu gestalten. Nicht nur hätte dies gemäss einer Vielzahl von Studien positiven Einfluss auf die langfristigen Bilanzen (Reduzierung von Lagerkosten, weniger Ausschussware, nahezu keine Rücksendungskosten), auch die Umwelt würde geschont mit effizienten Produktions- und Lieferketten. Wie könnte so etwas in der Praxis aussehen fragen Sie sich?
Man überlege sich folgendes Szenario: Der Kunde steht im Laden, welcher ausschliesslich ausgerüstet ist mit der nötigsten Kleider- / Schuhvariation, und zerbricht sich den Kopf über das perfekte Outfit in Sachen Farbwahl und Style. Was wäre wenn, die Masse per Bodyscann eingelesen werden könnten, etwa in einem Kleiderschrank mit realtime projizierendem Touchscreen Monitor, und dieser anschliessend die komplette Auswahl des Produktlagers wiedergibt. Der Kunde wird im Monitor gespiegelt und kann sich nun selbständig das Outfit zusammenstellen, ohne sich ständig umziehen oder nach der passenden Grösse umschauen zu müssen. Er wird quasi unmittelbar, gemäss seiner Auswahl angezogen, im Monitor gespiegelt und dargestellt. Diese Ansätze im Bereich Virtual / Augmented Reality, werden in einem separaten Artikel näher erläutert. Insofern er sich nun einig wird über die perfekte Konstellation seines Outfits oder natürlich über einzelne Kleidungsstücke, bestätigt er seine Auswahl, zahlt (erstmals noch an der Kasse, zukünftig auch möglich ohne weiteres Verkaufspersonal) und löst die Bestellung im Fabrikationszentrum aus. Durch die ununterbrochene Vernetzung kann dort direkt mit der Fabrikation begonnen werden, ohne das Thema 3D Druck auch noch anschneiden zu müssen, mit anderweitig automatisierten Maschinerien die ohne Zwischenstelle Aufträge annehmen und umsetzen können. Mit einem gewissen Mass an künstlicher Intelligenz im Zusammenspiel mit Robotik, wird das Outfit innerhalb der nächsten 48h geliefert.
Solch kurze Lieferfristen sind nicht möglich mit ausländischen Produktionsstätten sagen Sie? Stimmt, aber automatisierte Maschinenfabriken bzw. Roboter sind in der Schweiz genau so teuer wie im fernen Osten, (Lohnvergleich, ohne Gegenüberstellung von Strom und Miete), es könnte also zu einer Rückkehr der Wertschöpfung kommen in heimisches Gelände, um genau solche USP’s zu realisieren. (Siehe Ovomaltine) Ganz klar, hierbei handelt es sich um eine rein hypothetische Auflistung an möglichen Szenarien, ohne Berücksichtigung der Arbeitskraftverlagerung, Datenschutzbedenken und hunderten weiteren relevanten Faktoren, aber wer hätte vor 20 Jahren schon gedacht, dass ein Unternehmen wie Facebook zu den mächtigsten Konzernen weltweit katapultiert würde. Innovation entsteht, wenn bestehende Geschäftsmodelle disruptiert werden und dies ist höchst selten voraussehbar für den Normalverbraucher. Unternehmen wie etwa Adidas und weitere vorwiegend sportlich ausgerichtete Vertriebe gehen mit vorbildlichem Beispiel voran, nun gilt es die Chance zu erkennen und auf weitere Segmente zu adaptieren. Der erste Schritt bildet für jegliches Tun das Fundament für neue Erkenntnisse. Somit bleiben wir gespannt, wer die führende Rolle diesbezüglich einnehmen wird und wie lange es dauert, bis der Einzelhandel die nötigen Mittel bündelt, um genau jene Innovationen nicht weiterhin an sich vorbei ziehen zu lassen.